München (SID) – Am Ort der ruchlosen Tat sind die Spuren der Vergangenheit nicht mehr gegenwärtig. Das Haus mit der Nummer 74 in der Rue Romuald Pruvost im französischen Lens ist längst abgerissen, auch den davor liegenden Bürgersteig, auf dem das Leben von Daniel Nivel zerstört und beinahe ausgelöscht wurde, gibt es nicht mehr. Doch die Erinnerung an den schockierenden 21. Juni 1998 lebt weiter.
Beim WM-Vorrundenspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Jugoslawien (2:2) war es an diesem so verhängnisvollen Tag zu schweren Ausschreitungen durch Hunderte deutsche Krawallmachern gekommen. Nivel hatte zusammen mit zwei anderen französischen Gendarmen die enge Rue Romuald Pruvost abgesperrt, als er und seine Kollegen von den Hooligans attackiert wurden. Die beiden Kollegen Nivels konnten fliehen.
Nivel, damals 43 Jahre alt, Vater von zwei Kindern, wurde brutal zusammengeschlagen. Nach der Attacke lag er sechs Wochen lang im Koma. Er ist halbseitig gelähmt und deshalb auf einen Rollstuhl angewiesen. Auf dem rechten Auge ist Nivel blind, er kann nicht mehr riechen und nicht mehr schmecken. Auch das Sprechen fällt ihm schwer. Nichts ist mehr wie vorher. An den Überfall hat er keine Erinnerungen.
Deutschland und Frankreich stehen nach der brutalen Attacke unter Schock. Bundeskanzler Helmut Kohl nennt die Täter eine „Schande für unser Land“. Der damalige DFB-Präsident Egidius Braun erwägt sogar, die deutsche Mannschaft von der WM abzuziehen. Kohl und UEFA-Präsident Lennart Johansson aber überzeugten „mich“, so Braun, „dass das nicht der richtige Weg gewesen wäre – die Gewalttäter hätten über den Sport obsiegt“.
Die deutsche Bevölkerung half nach dem Überfall mit Spenden, der DFB gründete 2000 die Daniel-Nivel-Stiftung, die sich unter anderem um Gewaltprävention kümmert. Nivel war mehrmals auf Einladung des DFB Gast bei Fußballspielen, auch bei der WM 2006 in Deutschland oder der EM 2016 in Frankreich. Vor dem Spiel der Nations League am 16. Oktober 2018 in Paris verlieh ihm Bundesaußenminister Heiko Maas das Bundesverdienstkreuz.
„Die Erinnerung an die Gewalttat auf Daniel Nivel mahnt uns bis heute: Wir dürfen uns mit Gewalt auf und neben dem Platz nicht abfinden“, betonte der damalige DFB-Präsident Reinhard Grindel. Direkt an Nivel gewandt ergänzte er: „Seien sie vor allem versichert, dass ihr Schicksal in Deutschland niemals vergessen wird und vor allem nicht ihr ganz persönlicher Beitrag zur deutsch-französischen Freundschaft.“
Sechs Hooligans wurden in mehreren Prozessen zwischen 1999 und 2003 zu Haftstraßen zwischen dreieinhalb und zehn Jahren verurteilt. Für die Familie ein schwacher Trost. „Sie kamen“, sagte Nivels Frau Lorette, „ja wieder aus dem Gefängnis, sie bekamen ihr Leben zurück. Daniel haben sie seine Freiheit für immer genommen.“