London (SID) – Italiens unbezwingbare EM-Helden haben den Thronsaal des englischen Fußballs erobert und sich selbst zu den Königen von Europa gekrönt. Roberto Mancinis „Gladiatoren“ stillten mit einem 3:2 im Elfmeterschießen gegen England im Heiligtum Wembley eine 53-jährige Sehnsucht nach dem kontinentalen Titel – und sie starteten eine Riesenparty in Grün-Weiß-Rot.
Die Italiener ließen im packenden Finale mit dramatischem Ende zudem die Luft aus der weit über London hinaus grassierenden Three-Lions-Euphorie: Die vielzitierten „55 Jahre Schmerz“ seit dem WM-Triumph 1966 gehen weiter.
Eine Halbzeit lang brauchten die Italiener, um den Schock von Luke Shaws Final-Rekordtor für England (2.) abzuschütteln. Leonardo Bonucci (67.) brachte die Azzurri vor 67.500 Zuschauern zurück ins Spiel, Gianluigi Donnarumma versetzte das ganze Land mit der entscheidenden Parade zum zweiten EM-Triumph nach 1968 in Ekstase. Jadon Sancho und Marcus Rashford hatten für England verschossen. Auf der Ehrentribüne von Wembley riss Staatspräsident Sergio Mattarella die Arme hoch, die 60.000 englischen Fans verfielen in Agonie.
Um 21.00 Uhr war es Zeit für den Showdown, das 51. und letzte Spiel einer in vieler Hinsicht komplizierten EM. Um 21.02 Uhr kochte Wembley über: Linksverteidiger Shaw hatte per Dropkick an den Innenpfosten nach 116 Sekunden das schnellste Finaltor der EM-Geschichte erzielt, Gareth Southgates Rückkehr zum 3-4-3 des Achtelfinalsieges gegen Deutschland zahlte sich umgehend aus. Italien, nun 34 Länderspiele ungeschlagen, war überrumpelt und musste sich sortieren.
Ganz England stand hinter seiner Nationalmannschaft, Southgate erfreute sich nach der umjubelten Anfahrt an den vielen Menschen „jeder Herkunft, jeder Religion, jeder Gemeinschaft“. Selbst Queen Elizabeth II hatte sich in einer persönlichen Nachricht an die WM ’66 erinnert – damals hatte die Königin Kapitän Bobby Moore den goldenen Pokal überreicht. Diesmal war ihr Enkel William, Präsident des Fußball-Verbandes FA, nebst Herzogin Kate der ranghöchste Vertreter des Königshauses.
Er jubelte beim 1:0 noch euphorisch und sah, wie der Gegner sich nur mühsam berappelte. Die abgekochten Italiener mit ihrer routinierten Innenverteidigung Giorgio Chiellini/Bonucci wackelten, England rannte vom Adrenalin gepeitscht an. Immer wieder flog der Ball von den Außenpositionen gefährlich in den Strafraum – war die Szene verteidigt, gab es von der hoch gepriesenen italienischen Spielfreude wenig zu sehen. Der Weg zum englischen Tor blieb geschickt verbaut.
Zehn-, wenn nicht sogar Hunderttausende Fans hatten sich in London mit reichlich Bier, Gesängen und weiß-roten Ritterkostümen auf das erste EM-Finale mit englischer Beteiligung eingestimmt. Nicht überall blieb es friedlich: Dutzende Menschen ohne Eintrittskarten rissen am Stadion Absperrungen nieder und strömten auf die Tribünen. Etwa 7000 Fans unterstützten Italien und feierten am Ende für mindestens 20.000.
Doch der Weg dahin war steinig. England spielte zielstrebig nach vorne, war physisch überlegen und machte hinten nach Ballverlust rasch alles dicht. Erst Federico Chiesa schüttelte seine Bewacher ab – sein krachender Fernschuss rauschte auf regennassem Rasen knapp am Pfosten vorbei (35.). Torjäger Ciro Immobile hingegen war überhaupt nicht ins Spiel eingebunden. Das Finale war zur Pause stark ausbaufähig.
Danach kam Italien besser in die Zweikämpfe, nach einem scharfen Freistoß von Lorenzo Insigne warf Mancini Bryan Cristante und Domenico Berardi ins Spiel. Der schwache Immobile musste runter. Italien drängte die Engländer zurück, doch weiterhin fehlten die gewohnten gefährlichen Vorstöße über außen. Einen verdeckten Schuss Chiesas parierte Torhüter Jordan Pickford stark (62.).
Auch fünf Minuten später zuckte Pickfords Hand nach einem Kopfball von Marco Verratti geradezu sensationell noch zum Ball, doch Bonucci wühlte, drückte, kämpfte den Ball zum verdienten Ausgleich ins Tor. Wembley verstummte – und nach dem italienischen Sieg noch einmal. Dabei hatte sich England in den letzten 20 Minuten plus Verlängerung auf Augenhöhe zurückgekämpft.
Text und Fotos: SID
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