Köln (SID) – Die Bilder hatten unglaubliche Symbolkraft. Franz Beckenbauer schritt gedankenverloren über den Rasen des Stadio Olimpico von Rom. Kurz zuvor war Deutschland in der italienischen Hauptstadt durch ein 1:0 im WM-Endspiel gegen Argentinien zum dritten Mal nach 1954 und 1974 WM-Champion geworden. 16 Jahre zuvor war Beckenbauer der Kapitän der deutschen Weltmeistermannschaft gewesen, diesmal Teamchef – Rom erlebte bei der Coppa del Mondo die endgültige „Kaiser“-Krönung.
Um ihn herum vollführten Kapitän Lothar Matthäus und die 21 weiteren deutschen WM-Spieler regelrechte Veitstänze, nur Beckenbauer ließ sich von der allgemeinen Euphorie nicht anstecken, kapselte sich im Mittelkreis fast ein wenig ab und wollte den Augenblick des Triumphes trotz der 73.607 Zuschauer für sich allein genießen.
Nach sechs Jahren als verantwortlicher Teamchef trat Beckenbauer als Weltmeister-Coach ab, unterstrich einmal mehr seinen Ruf als Sieger-Typ und Lichtgestalt des deutschen Fußballs. Den Finalsieg über Titelverteidiger Argentinien hatte Andreas Brehme per Foulelfmeter (85.) sichergestellt.
Der Weg nach Italien war für die deutsche Elf fast beschwerlicher gewesen als das WM-Turnier selbst. Erst ein Treffer von Thomas Häßler im letzten WM-Qualifikationsspiel im November 1989 in Köln gegen Wales zum 2:1 verschaffte der Beckenbauer-Truppe das Ticket zur Fahrt über den Brenner.
In der Vorrunde erwischte Deutschland, angeführt von einem überragenden Matthäus, in Mailand gegen Jugoslawien beim 4:1 einen WM-Start nach Maß. „Am wichtigsten für den Titel war der gute Auftakt gegen die Jugoslawen“, sagte Beckenbauer später rückblickend. Ein 5:1 gegen die Vereinigten Arabischen Emirate und ein 1:1 gegen Kolumbien bedeuteten den ersten Gruppenrang für das deutsche Team, das zum dritten Mal in Folge ins WM-Finale einziehen sollte.
Doch gleich im Achtelfinale wartete auf Deutschland der wohl dickste Brocken: Kein Geringerer als Europameister Niederlande wollte Matthäus und Co. den Weg in die Runde der letzten acht Teams verbauen. Nach einem fantastischen Spiel, in dem die Emotionen auf beiden Seiten hochschlugen, setzte sich Deutschland mit 2:1 durch. Eine Weltklassepartie lieferte vor allem Jürgen Klinsmann.
Der unrühmliche Höhepunkt der Begegnung war ein Doppel-Platzverweis für Rudi Völler und den niederländischen Star Frank Rijkaard, der den deutschen Mittelstürmer angespuckt hatte. Im Viertelfinale mussten sich die deutschen Asse dann mit der Auswahl der damaligen CSFR auseinandersetzen. Trotz des 1:0-Erfolgs durch einen Foulelfmeter von Matthäus tobte „Kaiser Franz“ in der Kabine.
Wie schon bei den WM-Turnieren 1982 und 1986 blieb Deutschland ein weiteres Elfmeterdrama auch diesmal nicht erspart. Im Halbfinale in Turin gegen das Fußball-Mutterland England avancierte der Kölner Torhüter Bodo Illgner zum Helden, als er den Elfmeter von Stuart Pearce mit dem Knie abwehrte.
Mit 4:3 setzte sich das Beckenbauer-Team durch und erreichte zum sechsten Mal ein WM-Endspiel. Brehmes verwandelter Elfer sorgte für das erste ganz große gemeinsame Erfolgserlebnis für das wiedervereinte Deutschland nach dem Fall der Mauer 1989.
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