Köln (SID) – Heute kann Uli Hoeneß über seinen berühmten Fehlschuss in den Belgrader Nachthimmel schmunzeln. „Eher lustig“ finde er es, wenn er mal wieder höre, der Ball sei „noch immer nicht“ oder „bei Aufräumarbeiten im Stadion“ gefunden worden, sagte er unlängst dem kicker. Doch am 20. Juni 1976 spielte sich im damaligen Jugoslawien ein wahres sportliches Drama ab.
Weltmeister und Titelverteidiger Deutschland ist im EM-Finale gegen die Tschechoslowakei klarer Favorit. Doch Sepp Maier, Franz Beckenbauer und Co. steckt das schwer erkämpfte 4:2 n.V. im Halbfinale gegen den Gastgeber in den Knochen, das Debütant Dieter Müller vom 1. FC Köln nach 0:2-Rückstand mit drei Treffern entschieden hatte. Auch im Endspiel läuft die DFB-Elf einem 0:2 hinterher, Bernd Hölzenbein rettet sie in letzter Minute in die Verlängerung. Da diese ereignislos verläuft, muss erstmals ein großes Finale im Elfmeterschießen entschieden werden.
In Rainer Bonhof, Heinz Flohe und Hannes Bongartz, die später alle treffen, sind schnell drei Schützen gefunden. Doch die anderen fühlen sich zu platt. „Dann schieß‘ ich halt“, sagt Torwart Maier plötzlich, doch Kapitän Beckenbauer, der sein 100. Länderspiel bestreitet, verhindert dies: „Bevor du schießt, dann lieber ich.“ Erst, als Bundestrainer Helmut Schön den jungen Müller als fünften Schützen bestimmen will, erbarmt sich auch Hoeneß.
Der Bayern-Star, damals 24, fühlt sich „am Ende meiner Kräfte“. Seine Knie-OP aus dem Vorjahr, von der er sich nie ganz erholen wird, wirkt noch nach. „Ich war total kaputt.“ Und der Weg weit. „Einsam spazierte ich auf den weißen Punkt, rings um mich Sahara“, berichtete er von seinen Gedanken, „wie in Trance“ legt er den Ball bereit.
Hoeneß verwirft die Idee, flach ins rechte Eck zu schieben, weil er dafür Konzentration für nötig hält, die er nicht mehr aufbringen kann. Er will hart ins linke Eck schießen – „so hart, dass notfalls der Torwart mit dem Ball ins Tor fliegt“. Er knallt drauf, ohne auf den Keeper zu sehen – doch der Ball rutscht ihm leicht über den Spann. „Ich schaute dem Ball nach, sah ihn immer höher steigen. Wie eine Weltraumrakete von Cape Kennedy sauste er in Richtung Wolken“, sagte er einmal.
Danach schlägt Hoeneß verzweifelt die Hände vors Gesicht. „Apathisch“ sei er da gewesen, „ich registrierte nichts mehr.“ Auch nicht die finale Demütigung durch Antonin Panenka, dessen rotzfrecher Elfer-Lupfer Maier düpiert. Der krasse Außenseiter ist Europameister, Weltmeister Deutschland blamiert.
Und Hoeneß? Bekommt aufbauende Briefe von Helmut Kohl sowie Franz-Josef Strauß – und Trost vom „Kaiser“ höchstpersönlich. „Gott sei Dank hast du ihn verschossen“, sagt Beckenbauer, „weil nach dir hätte ich schießen müssen.“